ADHS: Neurobiologie, Genetik und frühkindliche Entwicklung

Am 14. April 2024 fand das ADHS-Deutschland Symposium in der Barbara-Künkelin-Halle in Schorndorf statt. Dr. med. Wolfgang Kömen, präsentierte dabei die neuesten Erkenntnisse und Trends in der ADHS-Forschung und -Praxis.

Ein Blick auf die Neurobiologie und Genetik von ADHS

Dr. Kömen begann seinen Vortrag mit einer Erläuterung der neurobiologischen und genetischen Grundlagen von ADHS. Besonders faszinierend fand ich die Ausführungen zur Epigenetik. Es war erstaunlich zu hören, wie Umweltfaktoren wie frühkindlicher Stress und elterliche Bindung die Genexpression beeinflussen können, ohne die DNA-Sequenz zu verändern. Diese epigenetischen Modifikationen, wie DNA-Methylierung und Histonmodifikationen, scheinen eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung von ADHS zu spielen.

Die ersten 1000 Tage – mehr als nur eine kritische Phase

Ein weiterer Höhepunkt des Vortrags war die Diskussion über die ersten 1000 Lebenstage. Dr. Kömen betonte, wie entscheidend diese Zeitspanne für die Hirnentwicklung ist. Die Synapsenbildung und das Pruning, die in dieser Phase stattfinden, werden stark von den frühkindlichen Erfahrungen und der Umwelt beeinflusst. Als Elternteil finde ich diesen Aspekt besonders wichtig, da er die Bedeutung einer unterstützenden und stabilen Umgebung für die frühkindliche Entwicklung unterstreicht.

Hirnreifungsverzögerungen und ihre Auswirkungen

Die Ausführungen zu den Hirnreifungsverzögerungen bei Kindern mit ADHS waren ebenfalls sehr aufschlussreich. Dr. Kömen erklärte, dass das Präfrontalhirn, das für Funktionen wie Aufmerksamkeit, Planung und Emotionsregulation zuständig ist, bei Kindern mit ADHS langsamer reift. Dies führt oft zu Herausforderungen in schulischen und sozialen Kontexten. Diese Erkenntnis verdeutlicht, warum viele Kinder mit ADHS in der Schule und im Alltag so große Schwierigkeiten haben.

Psychische und Körperliche Begleiterkrankungen

Ein Thema, das meiner Meinung nach viel Aufmerksamkeit verdient, ist die Vielzahl der Begleiterkrankungen, die mit ADHS einhergehen. Dr. Kömen sprach über psychische Störungen wie Depressionen und Angststörungen sowie körperliche Erkrankungen wie Asthma und Migräne. Es wurde klar, dass eine ganzheitliche Betrachtung und Behandlung notwendig ist, um den Betroffenen umfassend zu helfen. Dies ist ein Aspekt, der in der Praxis oft übersehen wird.

Die Rolle des Mikrobioms und der HPA-Achse

Ein besonders interessanter Teil des Vortrags war die Diskussion über das Mikrobiom und die HPA-Achse. Dr. Kömen erläuterte, wie das Darmmikrobiom über die Darm-Hirn-Achse die neurobiologische Entwicklung und das Stressreaktionssystem beeinflusst. Veränderungen im Mikrobiom können zu einer Dysregulation der HPA-Achse führen, was das Risiko für ADHS erhöht. Diese Erkenntnisse eröffnen neue Wege für präventive Maßnahmen und Behandlungsstrategien, die bisher wenig beachtet wurden.

Stress, Resilienz und frühkindliche Risiken

Dr. Kömen hob auch die Bedeutung von Stress und Resilienz hervor. Frühkindlicher Stress kann die Entwicklung von ADHS begünstigen, während protektive Faktoren wie eine stressfreie Umgebung und feinfühlige Eltern die Resilienz der Kinder stärken können. Diese Botschaft fand ich besonders ermutigend, da sie zeigt, dass wir als Gesellschaft viel tun können, um das Risiko für ADHS zu verringern und betroffene Kinder zu unterstützen.

Personalisierte Medizin und zukünftige Forschung

Abschließend sprach Dr. Kömen über die Bedeutung der personalisierten Medizin. Die Idee, genetische und epigenetische Untersuchungen zu nutzen, um individuell angepasste Therapieansätze zu entwickeln, ist vielversprechend. Diese personalisierten Therapien könnten die Behandlung von ADHS revolutionieren und den Betroffenen besser helfen, ihre spezifischen Herausforderungen zu bewältigen.

Take-Home Messages

Für Pädiater und Psychiater formulierte Dr. Kömen abschließend wichtige Empfehlungen:

  • Für Pädiater: Bei chronischen somatischen Erkrankungen sollte stets auch an eine mögliche ADHS-Diagnose gedacht werden. Auffälliges Verhalten sollte nicht nur der Grunderkrankung zugeschrieben werden. Eltern sollten ermutigt werden, bei Verhaltensauffälligkeiten zusätzliche diagnostische und therapeutische Unterstützung in Anspruch zu nehmen.
  • Für Psychiater: Bei psychischen Erkrankungen sollten auch somatische Störungen in Betracht gezogen werden. Psychiatrische und psychotherapeutische Interventionen sollten darauf abzielen, die chronischen somatischen Störungen zu verbessern. ADHS sollte bei chronischen somatischen Erkrankungen nicht zu oft ausgeschlossen werden.

Persönliche Reflektionen und Fazit

Der Vortrag von Dr. Kömen war nicht nur informativ, sondern auch inspirierend. Er hat mir gezeigt, wie komplex und facettenreich das Thema ADHS ist. Besonders beeindruckend fand ich die interdisziplinäre Herangehensweise, die sowohl genetische und epigenetische Faktoren als auch psychosoziale Aspekte berücksichtigt.

Folien zum Vortrag

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